Wie schafft es ein Gesundheitsunternehmen, dass es aus diesem Pool seine Stellen besetzt und was muss es tun, damit seine Mitarbeiter mit dem Unternehmen, Ihrer Arbeit und den Kollegen zufrieden sind und sich dafür entscheiden, möglichst lange engagiert im Unternehmen zu arbeiten? Diesen und anderen Fragen möchte wir uns in diesem Beitrag und in der kommenden Artikelserie widmen. Für diese Themenreihe gibt es einen „roten Faden“, zunächst schauen wir komprimiert auf die Fakten im Hinblick auf das Thema „Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich“. Hieraus folgen acht Erkenntnisse, die in den weiteren Artikeln behandelt werden. Am Ende soll das Zielbild einer guten Arbeitgebermarke geeignete Ideen für praktisch umsetzbare Maßnahmen liefern.
Fakten zur Fachkräftesituation und der Entwicklung
Nach Angaben der Projektgruppe „Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA)“ des Institutes der deutschen Wirtschaft, gab es im Jahr 2020 über 1.480.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in den Pflegeberufen. Davon hatten 62% = 917.600 Personen einen fachspezifischen anerkannten Berufsabschluss (Kranken- und AltenpflegerInnen und spezialisierte Fachpflegekräfte). Weitere 30% der Personengruppe = 440.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hatten eine Ausbildung als HelferiInnen abgeschlossen. Seit dem Jahr 2013 ist die Zahl der Fachkräfte in der Altenpflege um rd. 54.000 und im Sektor der Krankenpflege um über 65.000 Beschäftigte, insgesamt demnach um 119.000 Personen gestiegen. Laut der zweijährlich aktualisierten Pflegestatistik (Statistisches Bundesamt) belief sich die Zahl der Pflegebedürftigen 2017 deutschlandweit auf rund 3,4 Millionen Menschen, 70 Prozent mehr als noch zu Beginn des Jahrtausends. Die Pflegequote (Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung) betrug 2019 bereits 5% ( = 4.128 Mio. Menschen) und hat sich damit in der Zeit von 2001 bis 2019 verdoppelt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Überalterung der Gesellschaft, verlängerte Lebenszeiten durch medizinischen Fortschritt, Veränderungen in den Familienstrukturen, u.v.a.m. Aufgrund dieser Entwicklung wächst auch der Bedarf an Fachkräften und Helfern ebenfalls seit Jahren kontinuierlich, diese Entwicklung wird sich in der Zukunft durch den prognostizierten Anstieg der Pflegequote noch verschärfen. Im Jahresmittel 2021 konnten rd. 35.000 Stellen für Pflegefachkräfte, davon rd. 55% in der Alten-pflege und 45% in der Krankenpflege, dauerhaft nicht besetzt werden. Praktisch bedeutet dies 8 von 10 offenen Stellen bleiben unbesetzt. Es steht zu erwarten, dass sich dieser Mangel an Fachkräften in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen wird. Gründe hierfür sind einmal der steigende Bedarf für solche Stellen und andererseits die Abnahme von derzeit aktiven MitarbeiterInnen aus Altersgründen (Babyboomer gehen in Rente) und die Tatsache, dass es bisher nicht gelungen ist die Ausbildungszahlen im erforderlichen Umfang zu steigern. Die Gründe für die mangelnde Attraktivität pflegender Gesundheitsberufe sind natürlich vielfältig und das Ergebnis einer über viele Jahre andauernden Missachtung vorliegender berufs- und gesellschaftspolitischer Beobachtungen und Erkenntnisse. Hierauf haben einzelne Gesundheitsunternehmen nur sehr eingeschränkt Einfluss, es handelt sich um langfristige Faktoren, die jetzt bei der Lösung der Probleme im Unternehmen nicht helfen werden. Auch die Bestrebungen der Bundesregierung und der Gesundheitsbranche aus dem Ausland zusätzliche Pflegekräfte zu gewinnen und mit tarifpolitischen Mitteln die Attraktivität der Pflegeberufe zu verbessern, werden an den o.g. Kernaussagen nichts wesentliches verändern.
Erkenntnisse die sich aus diesen Fakten ableiten lassen?
- Es gibt aktuell rd. 1,5 Mio. ausgebildete Fachkräfte und Helfer in der Alten- und Krankenpflege;
- Diese Mitarbeiter sind adressierbar und können aktiv angesprochen werden;
- Die schon bestehenden Lücken in der Fachkräfteversorgung werden in den nächsten Jahren eher größer als kleiner;
- Es bedarf strategischer Überlegungen in Bezug auf das jeweilige Unternehmen und hieraus abgeleitet die Notwendigkeit der kritischen und ehrlichen Analyse im Hinblick auf den Wert, den Sachstand in Bezug auf die eigene Arbeitgebermarke.
- Der bereits bestehende Wettbewerb zwischen den Arbeitgebern, um die besten Arbeitskräfte wird absehbar und bundesweit stark zunehmen. Pflegekräfte können sich ihren Arbeitgeber aussuchen;
- Die richtige Strategie zur Gewinnung und der Bindung von Fachkräften wird mittelfristig über den wirtschaftlichen Erfolg und das Überleben der Gesundheitsbetriebe entscheiden;
- Jeder Gesundheitsbetrieb muss eine auf seinen Bedarf und seine Strukturen abgestimmte Strategie für die aktuelle und zukünftige Personalgewinnung und -bindung entwickeln und mit der planvollen Umsetzung dieser Strategie eher schon gestern als morgen beginnen;
- Dem Thema Personal in Gesundheitsbetrieben muss höchste Priorität eingeräumt werden, es sollte Chefsache sein;
Im Weiteren geht es um das Thema des Aufbaus einer guten Arbeitgebermarke (Employer Branding) für Gesundheitsbetriebe. Erforderliche Bausteine als Bestandteile für eine solche gute Arbeitgebermarke werden identifiziert und hinsichtlich Umsetzung und Wirkung beschrieben. Ziel ist es einen umfassenden Überblick über das Konzept als solches und darüber hinaus die Bausteine und praktischen Umsetzungshinweise zu liefern.
Eine gute Arbeitgebermarke haben
Kein Unternehmen ist hinsichtlich seiner Kultur, seiner historischen Wurzeln und seiner in ihr wirkenden Menschen vergleichbar. Jedes Unternehmen hat seine besonderen Anforderungen, Eigenheiten und Strukturen. Deshalb gibt es für „die“ ARBEITGEBERMARKE auch kein Patentrezept. Allerdings gibt es Bausteine, die ein Bestandteil einer guten Arbeitgebermarke sein können. Vorweg gesagt: Alles was theoretisch über das WAS und WIE einer Arbeitgebermarke gesagt wird, muss sich im Alltag bewähren. Es ist nur dann erfolgreich, wenn es im Alltag jeden Tag glaubhaft gelebt und damit von den Beteiligten auch erlebt wird. Was sind die herausfordernden Umgebungsvariablen in einem pflegenden/betreuenden Gesundheitsberuf?
- Die Vergütung für Pflegekräfte und Helfer, insb. in den unteren und mittleren Vergütungsstufen ist oft kein Anreiz diesen Beruf zu ergreifen oder ihn lange auszuführen;
- Im Gesundheitsbereich arbeiten oft Menschen, die motiviert sind anderen Menschen zu helfen, die einen sichtbaren persönlichen Beitrag leisten möchten, denen soziale Teilhabe, soziale Gerechtigkeit wichtig ist;
- Große Verantwortung für das Wohlergehen der anvertrauten Menschen, viel Dokumentations- und Verwaltungsarbeit, gefühltes oder tatsächliches Missverhältnis für die Zeit der Arbeit am Mensch. Hoher Anspruch an das Qualitätsmanagement und an die benötigten Prozesse;
- Im Gesundheitsbereich arbeiten zu einem großen Anteil Frauen, die nach meiner Erfahrung einen „weiblichen“ Anspruch an Führung und Teilhabe haben;
- Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt eine fortwährende Herausforderung und oft auch eine Belastung dar;
- Ungünstige Arbeitszeiten, arbeiten an Wochenenden und Feiertagen, geteilte Dienste, Schichtdienste, erfordern eine hohe Bereitschaft zur Flexibilität und an die Verfügbarkeit;
- Hohe seelische Belastungen durch Umgang mit Krankheit, Tod und den medizinischen Grenzen;
- Teilweise auch hohe körperliche Belastungen, Alleinarbeit und Fahrtzeiten in ambulanten Verwendungen;
- Hoher Druck im Team zu funktionieren, Personalausfälle zu kompensieren, KollegInnen „nicht hängen lassen“, viele Überstunden;
- Andererseits, im niederschwelligen HelferInnen-Bereich, manchmal auch der Umgang mit Mitarbeitenden, für die die Arbeit in der Pflege eher „Mittel zum Zweck“ als Berufung ist. Wegen der starken Suche nach HelferInnen, kommen evt. auch Menschen zur Pflege, die objektiv nicht geeignet sind. Auf diese dann, trotz freier Stellen letztlich zum Wohle des Patienten zu verzichten, ist eine Herausforderung;
- Traditionelle Hierarchien, starre und langwierige Kommunikationswege, Geschäftsführung, Pflegedienstleitung, Ärztliche Direktoren, Chefärzte, Betriebsräte, Stationsärzte und -leitungen, Verwaltungsleitung, Personalverwaltung, Hauswirtschaft, externe Dienstleister;
Diese Aufzählung ist längst nicht vollständig, geben jedoch genügend Material, um eine erste strategische Analyse für das eigene Gesundheitsunternehmen vorzunehmen und daraus ein Umsetzungskonzept zu entwickeln. Alle Antworten auf die vorgenannten Umgebungsvariablen zahlen auf den Wert der Arbeitgebermarke ein. Im Ergebnis muss es am Ende dazu führen, dass sich die zukünftige Mitarbeiter:Innen und Bestands-Mitarbeiter:Innen immer wieder für Ihr Gesundheitsunternehmen als Arbeitgeber entscheiden. Ihr Gesundheitsunternehmen soll im Ranking der Beschäftigten auf dem Spitzenplatz der potentiellen Arbeitgeber stehen. Der nachstehende Fragebogen versteht sich als eine schnell umsetzbare Praxishilfe. Wenn Sie alle Fragen in Bezug auf Ihr Unternehmen beantwortet haben, sollten Sie einen guten Überblick über den Stand Ihrer Arbeitgebermarke erhalten. Zudem bekommen Sie bei der Befassung mit den Fragen wichtige Hinweise und Anregungen für die Entwicklung eigener Kennzahlen zur Beurteilung der weiteren Entwicklung. In den folgenden Artikeln dieser Serie, werden ich Ihnen einzelne Bausteine, die einen Beitrag zur Entwicklung einer guten Arbeitgebermarke leisten, im Detail vorstellen. In diesem Zusammenhang werde ich u.a. die Themen Partizipation/Beteiligung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Vision und Werte, faire Vergütung/Benefits, u.v.a.m., praxisnah behandeln.