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Demenzdörfer: neue Lösung für Betroffene und Angehörige?

Ein Seniorenpaar auf einer Parkbank blickt auf ein Demenzdorf.
Inhaltsverzeichnis
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Die Diagnose Demenz ist nicht nur für Betroffene schwer, sondern auch für ihre Angehörigen. Die meisten Menschen sind unglücklich, Angehörige wegen Demenz in ein Pflegeheim geben zu müssen. Zu oft sind die Zustände dort nicht ideal. Doch es geht auch ganz anders, wie ein Beispiel aus den Niederlanden zeigt.
Das Wichtigste in Kürze

Können Demenzdörfer die Lösung sein?

In Deutschland haben schätzungsweise 1.8 Million Menschen Demenz – wobei Alzheimer die häufigste Form ist. Erste Anzeichen von Demenz sind häufig Vergesslichkeit oder Orientierungslosigkeit, doch ab einem gewissen Stadium ist ein selbständiges Leben kaum möglich. 

Was also tun, wenn die Betroffenen nicht mehr alleine wohnen können? Denn häufig ist die Gefahr zu groß, dass Menschen mit Demenz die Herdplatte vergessen auszuschalten oder der Heimweg nicht mehr finden. Und technische Hilfsmittel sind nicht immer eine Lösung. 

Häufig bleibt da nur der Umzug ins Pflegeheim, doch auch diese können nicht immer optimal auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz eingehen. Den Fachkräften bleibt kaum Zeit, sich mit der Krankheit der Einzelnen auseinanderzusetzen und die in ihrer eigenen Welt lebenden, häufig aber noch unternehmungslustigen Patienten zu beschäftigen.

Dabei können im richtigen Umfeld Menschen mit Demenz ein zufriedenes Leben führen. Dieses bieten sogenannte Demenzdörfer. Sie sind auf die Bedürfnisse der Erkrankten abgestimmt, ohne dass diese ihre Freiheit komplett aufgeben müssen. 

 

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Die Idee hinter den Demenzdörfern

Die Idee und das Konzept für ein Demenzdorf ist nicht neu. Das erste Demenzdorf De Hogeweyk in der Nähe von Amsterdam wurde vor über zehn Jahren gegründet. Inzwischen ist es in vielen Ländern, auch in Deutschland, zum Vorbild für ähnliche Einrichtungen geworden. 

Wie funktioniert ein Demenzdorf?

Wer durch De Hogeweyk spaziert, fühlt sich gleich in eines dieser kleinen, niederländischen Dörfer versetzt: Backsteinhäuser reihen sich aneinander, es gibt ein Bistro, einen Supermarkt, ein Restaurant, ein Theater. Wenn das Wetter gut ist, versammeln sich die Bewohner auf dem kleinen Marktplatz, um ihre Gesichter in die Sonne zu halten.

Doch es gibt einen Unterschied zu einem normalen niederländischen Dorf: In De Hogeweyk gehen Menschen durch die Gassen, die das Pensionsalter oft lange hinter sich gelassen haben. Das Durchschnittsalter beträgt 84. Und wer den Dorfplatz länger beobachtet, der sieht, dass manche Menschen dort immer wieder vorbeikommen, im Kreis laufen, auf der Suche nach irgendetwas, ihrem Zuhause vielleicht.

Ein Mann mit Alzheimer sitzt alleine auf einer Parkbank im Park.
Bei Demenz denken viele gleich an Alzheimer. Umgangssprachlich wird oft zwischen den zwei Begriffen nicht unterschieden. Dabei besteht einer.

„Unser Ziel ist, Menschen mit schwerer Demenz ein möglichst normales Leben zu bieten“, sagt Eloy Van Hal, der das Vorzeigedorf ins Leben rief, zur WirtschaftsWoche.

Die 152 Bewohner wohnen in 23 Reihenhäusern, die um die verschiedenen Plätze, Gassen und Höfe angeordnet sind. Wie in einer Wohnsiedlung besitzt jedes Haus eine eigene Nummer. Konkret bedeutet das, dass sie zwar in Einzelzimmern wohnen, die aber in kleinen Häusern zu Wohngemeinschaften zusammengeschlossen sind. In der Regel teilen sich jeweils sieben Bewohner ein Wohnzimmer – und eine Betreuerin.

Diese übernimmt alle Aufgaben des Hauses: Sie wäscht die Wäsche und kocht das Essen, immer möglichst gemeinsam mit den Bewohnern. Vor dem Einkauf wird gemeinsam eine Liste geschrieben, deren einzelne Einkaufswünsche sie dann zusammen mit Bewohnern im Dorf-eigenen Supermarkt erledigt. Jedes Haus verfügt über ein Monatsbudget, von dem es diese Einkäufe bezahlt – und das nicht überschritten werden darf.

250 festangestellte und 150 freiwillige Helfer arbeiten in Demenzdorf. Mit ganz alltäglichen Beschäftigungen versuchen sie, die verwirrten alten Menschen aus ihrer krankheitsbedingten Starre zu reißen.

Die Häuser im Demenzdorf erinnern an die Vergangenheit

60 Fragen müssen die Bewohner oder ihre Angehörigen vor dem Einzug in de Hogeweyk beantworten. Das Ergebnis ordnet dem Bewerber einen von sieben verschiedenen Lebensstilen zu, die die Bevölkerungsgruppen in der niederländischen Gesellschaft repräsentieren sollen.

Wer früher zum Beispiel gerne ins Theater, zu Konzerten oder Kunstausstellungen ging, ist in der kulturellen Wohngruppe richtig. Außerdem gibt es städtische, handwerkliche, vornehme und häusliche Wohngruppen. Sogar für Niederländer, die aus der ehemaligen Kolonie Indonesien stammen oder eine Zeit ihres Lebens dort verbracht haben, gibt es ein eigenes Domizil.

Bewohner sollen so normal wie möglich leben

Die Häuser sind dabei in vier unterschiedlichen Stilrichtungen eingerichtet: traditionell niederländischen, kosmopolitisch, urban und gehoben klassisch. Entsprechend unterschieden sich auch das Essen oder sogar die Musikauswahl im CD-Regal. Die Bewohner werden nach ihren vorherigen Lebensumständen einer der Wohnformen zugeteilt.

So sind zum Beispiel im indonesischen Haus die Wände fröhlich gelb, orange und hellgrün gestrichen, auf Sofas und Sesseln liegen bunte Kissen. Überall stehen Pflanzen und Kunstgewerbegegenstände aus der alten Heimat der Bewohner. Es duftet nach Reis und frischem Koriander. Im Winter, erzählt die Managerin, sei es hier zwei Grad wärmer als in den anderen Häusern, weil die Bewohner gern barfuß laufen. Die Bewohner und Bewohnerinnen sollen in einer abgeschlossenen Siedlung eine Art Normalität leben mit Dingen, die sie von früher (er)kennen.

Beim Entwurf der Siedlung wurde konsequent versucht, alles, was an ein Pflegeheim erinnert, auszublenden. Der große Gemeinschaftsraum wurde zu einem Theater ausgebaut, das auch von externen Organisationen angemietet werden kann. Das Büro zur Anmeldung für die Teilnahme an verschiedenen Aktivitäten wurde zum Reisebüro, das Arztzimmer wurde zu einer Arztpraxis am zentralen Boulevard und der gemeinschaftliche Speisesaal wurde zum öffentlichen Restaurant, in dem sich die Demenzkranken mit den Bewohnern aus der Umgebung treffen können. Andere Einrichtungen wie das Café, der Friseursalon, das Fitnessstudio, der Marktplatz und der Supermarkt verstärken die Idee des Dorfes zusätzlich.

Auch Mittellose können im Demenzdorf wohnen

In der Wohnung der sogenannten upper class ist der Esstisch mit langstieligen Weingläsern und schweren Stoffservietten eingedeckt. An der Decke hängen zwei elegante Kristallleuchter. Obwohl es hier deutlich schicker aussieht, liegt das Budget wie in allen Wohnungen pro Person bei 5200 Euro im Monat und damit genauso hoch wie in anderen niederländischen Pflegeheimen.

Die zahlt zunächst einmal komplett der Staat, so dass auch mittellose Menschen in de Hogeweyk wohnen können. Wer vermögend ist oder Angehörige hat, die gut verdienen, muss allerdings einen Teil der Kosten übernehmen.

Außergewöhnlich für das Demenzdorf

Die Vermeidung von Stress ist für demente Personen entscheidend. Traditionelle Pflegeheime sind in der Regel auf ein effizientes Arbeiten für das Pflegepersonal ausgelegt. Das Außergewöhnliche an „De Hogeweyk“ ist, dass es als Wohnviertel entworfen wurde und nicht als Pflegeheim.

In der Realität bedeutet dies zwar, dass die Pfleger längere Wege zum Holen von Spritzen oder dergleichen zurücklegen müssen, gleichzeitig haben die Pflegekräfte aber einen Rückgang an benötigten Medikamenten konstatiert, der wohl auf die Wohnumgebung zurückzuführen ist.

Bewegung und Beschäftigung sind das A und O in de Hogeweyk. Denn wer rastet, der rostet. Laut einer Untersuchung kommen Demenzkranke in den Niederlanden durchschnittlich nur 96 Sekunden am Tag an die frische Luft. Das sind weniger als zwei Minuten. Zu wenig, um das Gehirn auf Trab zu halten. Auch wenn es bei dieser Krankheit keine Aussicht auf Genesung gibt, können Bewegung und ein aktives Leben den Prozess verlangsamen. Aus diesem Grund steht allen Bewohnern jeden Tag eine lange Liste an Aktivitäten zur Auswahl, vom Museumsbesuch bis zum Töpferkurs.

Demenzdörfer in Deutschland

In Deutschland eröffnete das erste Demenzdorf 2014 am Stadtrand von Hameln, Tönebön am See. Ein zweites gibt es in Süssendell in Stolberg und drittes im Westen von Hilden für 180 Personen. Weitere drei Projekte sind aktuell in Planung. So sollen Demenzdörfer in Krampnitz, Schwesing und Leipzig eröffnet werden. 

Bisher fand das Konzept auch in Deutschland großen Anklang. Auch wenn der Umzug in ein solches Dorf für den Erkrankten und seine Angehörigen nicht ganz leicht ist, gewöhnen sich die Bewohner meist an ihr neues Leben. Sie können weiterhin ein freies Leben führen und regelmäßig Besuch erhalten. 

Kritische Punkte an Demenzdörfern

Trotz den vielen Vorteilen gibt es auch kritische Stimmen. Allein die Abgrenzung durch einen Zaun werten Kritiker als Freiheitsberaubung. Das widerspreche dem Gedanken der sozialen Teilhabe und Inklusion. Es sei unwürdig, den Menschen eine Illusion vorzugaukeln.

So existieren unter anderem fiktive Bushaltestellen, welche eine gewisse Realität simulieren sollen, doch an ihnen wird nie ein Bus anhalten. Vor allem Patienten mit Demenz im Anfangsstadium fühlen sich zu Beginn einfach nur eingesperrt. Denn sie durchschauen die Scheinwelt und fühlen sich in ihrer Freiheit beschnitten.

Darüber hinaus befinden sich die meisten Demenzdörfer in Randgebieten. Auch dies wird scharf kritisiert, denn den demenzkranken Bewohnern fehlt jeglicher Bezug oder Zugang zur realen Welt. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob die Demenzkranken unserer Gesellschaft durch dieses Konzept schlichtweg ausgelagert und abgeschoben werden.

Dem gegenüber steht, dass Angehörige den Erkrankten im klassischen Pflegeheim tagelang suchen müssen. Häufig werden verhaltensauffällige Patienten ruhiggestellt und auch sonst ist man von einer adäquaten Betreuung weit entfernt. 

Erfahrungsberichten zufolge sind die „Einwohner“ von „De Hogeweyk“ oder dem Demenzdorf in Hameln weitaus ruhiger und weniger depressiv als in regulären Betreuungseinrichtungen. Das zeigt sich auch im Vergleich der Gabe von Beruhigungsmitteln oder Antidepressiva. Und so bewahrheitet sich auch hier: allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.

Demenzdörfer in Dänemark

Das Demenzdorf im dänischen Svendborg auf der Insel Fünen distanziert sich von den Kritikpunkten der fehlenden Inklusion und Freiheit. Das Dorf befindet sich nämlich nicht, wie es beispielsweise in Deutschland der Fall ist, etwas außerhalb, sondern direkt inmitten einer Stadt.

Außerdem haben die Bewohner durchaus die Möglichkeit, die Anlage zu verlassen und die Nachbarschaft zu erkunden. Hierzu müssen sie lediglich die dafür vorgesehene, gut versteckte Tür finden. Im Notfall, können die Bewohner aber per GPS geortet und zurückgebracht werden. Hier beginnt die Abwägung zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und die Schutz-Pflicht der Einrichtung, des Angehörigen, des Betreuers.

 

Demenzdorf-Planung

Das Demenzdorf, das in Hessen entstehen sollte, könnte für Deutschland mit einem guten Beispiel vorangehen. Das im osthessischen Hohenroda liegende Areal ist inmitten der Stadt und kann somit, der so häufig kritisierten, fehlenden Inklusion, entgegenwirken. Der zukünftige Betreiber ist noch in der Planungsphase.

Fazit zu Demenzdörfer

Sind Demenzdörfer die Lösung? Solange es den Demenzkranken gut gehe, diese von der Zuwendung und der auf sie spezialisierten Pflege profitieren, sei nichts gegen diese neue Wohnform einzuwenden, im Gegenteil. Die Erkrankten leben sowieso in ihrer eigenen Welt, sagen sowohl Angehörige als auch Pfleger. Sollten man sie dann nicht einfach so unterbringen, wie es ihrem Weltbild entspricht?


Von momentan geschätzt 1,8 Millionen Demenzkranken in Deutschland wird sich bis 2050 auf 3 Millionen verdoppeln. Und das sind nur jene, die dann rund um die Uhr Pflege benötigen. Wir tun also gut daran, uns Gedanken über zukünftige Wohnformen von Demenzkranken zu machen. Demenzdörfer sind bisher die beste Lösung.

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